Wie sicher ist unser Land? Eine Frage, die sehr breitgefächert ist. Peter Regli, Dipl Ing ETHZ, ehemaliger Chef des Schweizer Nachrichtendienstes im Range eines Divisionärs, Berater in Fragen der nationalen Sicherheit, ist Fachexperte, wenn es um die nationale Sicherheit geht. Hier im Interview beantwortet er die brisantesten Fragen zu diesem Thema.
Sie haben soeben zwei Vorträge zum Thema «Unsere nationale Sicherheit nach der Corona-Pandemie» gehalten. Wie sicher fühlen sich Herr und Frau Schweizer?
Peter Regli: Die regelmässig stattfindenden Umfragen bezüglich der Sorgen in der Bevölkerung (ETH Zürich, Crédit Suisse z.B.) zeigen immer wieder, dass die «nationale Sicherheit» bei unserer Bevölkerung kein Thema ist oder sehr weit unten auf der Rangliste auftaucht. Das bedeutet doch, dass sich die Schweizer allgemein sicher fühlen.
Wie sicher ist die Schweiz noch?
Sie fragen zu Recht «noch». Wir dürfen uns heute sicher fühlen. Wir müssen uns aber bewusst sein, dass plötzlich, unerwartet etwas geschehen kann: ein Terrorakt, ein Cyberangriff, ein unbekanntes Virus, ein längerer Stromausfall oder auch eine grössere Krise im europäischen Umfeld.
Das Stimmvolk sagte vor einem Jahr hauchdünn Ja zu neuen Kampfjets. Brauchen wir solche Flugzeuge in der Schweiz?
Unsere Verfassung verpflichtet uns, ebenfalls international, zur Wahrung der Hoheit in unserem Luftraum, in jeder strategischen Lage. Dazu brauchen wir, auch in Zukunft, Kampfflugzeuge. Wir müssen die veralteten F-18 mit neuen ersetzen. Der Bundesrat entschied sich für den amerikanischen F-35.
Gemäss dem neusten Sicherheitspolitischen Bericht will die Schweiz ihre Sicherheitspolitik noch stärker auf das veränderte Umfeld und neue Bedrohungen ausrichten. Sehen Sie das auch so wie der Bundesrat?
Unbedingt! Bundesrat und Parlament müssen unsere Sicherheitspolitik immer wieder überprüfen und den neuesten Herausforderungen anpassen. Der sipol Bericht dient als wichtige Grundlage. Aber auch die Beurteilungen der Nachrichtendienste müssen ernsthaft zur Strategieschöpfung der Regierung beigezogen werden.
Die europäische Peripherie ist in den letzten Jahren insgesamt instabiler geworden, die Schutzwirkung des geografischen und politischen Umfelds der Schweiz hat abgenommen. Auf was führen Sie dies zurück?
Auf den zunehmenden Nationalismus, auf die Instabilität zahlreicher Staaten wegen unfähigen, korrupten Regierungen, wegen der zunehmenden Uneinigkeit in der EU und der Aggressivität Russlands und Chinas. Der Vertrauensverlust in die USA, seit der Regierung Trump, trägt auch zur Instabilität bei.
Was sind konkrete Bedrohungen und Gefahren für die Schweiz?
Langfristig gesehen die Volksrepublik China, mittelfristig der Islamismus und kurzfristig, der Terrorismus, der Cyberkrieg, Pandemien, politische und wirtschaftliche Erpressungen, Naturereignisse, Extremismen in sozialen Medien, usw. Die Szenarien sind komplex und anspruchsvoll in der Beurteilung.
Gerade Corona hat gezeigt: freie Meinungsbildung und unverfälschte Information können zu Konflikten führen!
Neben der Pandemie erleben wir zurzeit auch die Infodemie. Das heisst die zunehmende Bedeutung von unkontrollierten sozialen Medien, in welchen Falschmeldungen, alternative Fakten, Drohungen, meistens anonym verbreitet werden. Die Infodemie ist eine echte Bedrohung für unsere Gesellschaft und die direkte Demokratie!
Wie widerstandsfähig ist die Schweiz gegenüber Cyberrisiken?
Wie die Praxis beweist, sind wir in Wirtschaft und Verwaltung schlecht darauf vorbereitet. Es fehlt der Wille zu handeln respektive die technischen Kenntnisse, um konsequent aktiv und vorausschauend zu agieren. Oft bleibt nur noch das «Management by Kopfanschlagen».
Verhinderung von Terrorismus, gewalttätigem Extremismus, organisierter und übriger transnationaler Kriminalität gehört ebenso zu den Kernaussagen des neuen Sicherheitspolitischen Berichts zur aktuellen Lage. Sind wir da auf gutem Weg?
Bezüglich «-ismen» sind wir schlecht vorbereitet. Wir wollen sie, oft aus politischen Gründen, nicht zur Kenntnis nehmen. Populismus, Nationalismus, Extremismus, Rassismus, Antisemitismus, Islamismus u.a.m. erzeugen komplexe Szenarien, welche nur mit einem starken politischen Willen eingedämmt werden können. Dieser Wille fehlt vorderhand.
Das Risiko von Konflikten an den Rändern Europas hat zugenommen: Welche Verbündete hat die Schweiz?
Die Schweiz ist unabhängig und neutral. Wir teilen aber die westlichen, christlichen und demokratischen Werte mit den umliegenden Staaten. Wir sitzen also im selben europäischen Boot und müssen ein Interesse haben, Risiken und Gefahren gemeinsam, mit klaren Abmachungen, entgegen treten zu wollen und zu können.
Wo liegen sicherheitspolitisch die grössten Herausforderungen?
In überraschend auftretenden Herausforderungen, in Risiken und Gefahren, von nationaler respektive europäischer Bedeutung. Die Covid-Pandemie ist ein Beispiel dazu. Notwendig sind dann klare Führungsstrukturen und -fähigkeiten auf oberster Stufe. Sehr nützlich sind regelmässige Übungen in Krisenbewältigung.
Wo sehen Sie die sicherheitspolitischen Stärken der Schweiz?
Im Sicherheitsverbund. Nachrichtendienste, Polizei, Zivilschutz, Grenzwachtkorps, Justiz, Landesversorgung und Armee üben und arbeiten auf Stufe Bund, Kantone und Gemeinden eng zusammen. Man kennt und vertraut sich. Der Milizgedanke verbindet. Das ist einzigartig und bewährt sich in der Krise.
Was kann der Bundesrat tun, um auf moderne Krisensituationen besser vorbereitet zu sein?
Seinem Nachrichtendienst vertrauen! Der Bundesrat sollte vorausschauen und regelmässig die Führung in Krisensituationen üben. Täten unsere Bundesräte dies ernsthaft, würde es nicht nur der Sache dienen und Vertrauen schaffen… es wäre auch erstmalig. «Das Unerwartete erwarten» und «das Undenkbare zu denken» täte auch auf dieser Stufe Not.
Interview: Corinne Remund