Chancen mutig nutzen

    Die Wernli AG in Rothrist hat sich dank Innovation und Nachhaltigkeit erfolgreich in einer Nische im Sektor der Medizinprodukte positioniert. Das Unternehmen in Rothrist agiert selbst in der Krise weitsichtig und investiert mit der Herstellung von Schutzmasken in einen neuen Geschäftsbereich.

    (Bild: zVg) Das bisherige Produktionsprogramm der Wernli AG besteht aus Verbandstoffen und medizinischen Textilien. Mit der Investition in die Herstellung von Schutzmasken wird die langfristige Zukunft des KMU gestärkt.

    Zur Unterstützung einer effizienten Wundheilung sind sie unerlässlich: Die elastischen Verbandsstoffe, Binden und medizinischen Textilien der Wernli AG im aargauischen Rothrist. Die letzte Schweizer Herstellerin von Verbandsstoffen hat sich seit ihrer Gründung 1932 dank zahlreichen Innovationen erfolgreich behauptet und weiterentwickelt. So präsentiert die Firma 1979 an einer Messe in Zürich als weltweit erste Herstellerin farbige Verbandstoffe. Aktuell reagiert das Unternehmen auf die Corona-Krise und produziert neu Schutzmasken (siehe Nebenartikel). Auf die Bedürfnisse der Kunden eingehen und so ein verlässlicher und kontanter Partner sein – so lautet die Firmenphilosophie, die sich in der über 100-jährigen Geschichte des KMU bis jetzt immer bewährt hat. «Wir sind nicht auf kurzfristige Gewinne aus, sondern auf eine langjährige und für beide Seiten erfolgreiche Partnerschaft», sagt CEO Felix Schönle, der die Firma 2009 erworben hat. Die Kernkompetenzen liegen in Produktion und Vertrieb von elastischen Verbandstoffen für den medizinischen Bereich. Zusätzlich ist das KMU eine der wenigen Herstellerinnen von Verbandklammern in Europa. Seit ein paar Jahren produziert das Unternehmen zudem technische Bänder für viele mögliche Einsatzorte. Ein grösserer Teil wird für Taschen, Rucksäcke oder in der Bekleidungsindustrie verwendet. «Einen grossen Teil unseres Absatzes machen die beschichteten Verbandstoffe – selbstklebend oder adhäsiv – aus», so Schönle und er doppelt nach: «Wir haben sehr viele Produkte, die im Bereich Lymphologie oder in der Kompressionstherapie eingesetzt werden. Hier verfügen wir über grosse und lange Erfahrung». Der moderne Maschinenpark besteht aus Bandwebmaschinen sowie automatisierten Ausrüst- und Beschichtungsanlagen. Diese wurden teilweise speziell für das KMU hergestellt und sind äusserst effizient. «Pro Jahr produzieren wir zwischen 45 und 55 Millionen Meter Verbandsstoffe.»

    Die Wernli AG exportiert rund 85 Prozent ins Ausland. «Mittlerweile haben wir in rund 40 Ländern Kunden», sagt Schönle. Dem CEO bedeutet aber der Wirtschaftsstandort Schweiz viel: «Wir haben ein stabiles politisches System und wir haben in der Schweiz Mitarbeitende, die sehr effizient und zuverlässig arbeiten.»

    (Bild: zVg) Das Verbandsmaterial wird in rund 40 Länder geliefert.

    Allerdings haben sich die Rahmenbedingungen in den letzten Jahren verschlechtert. «Das ist bedauerlich. Ich befürchte, dass vermehrt Produktionsbetriebe, welche im Export tätig sind, Probleme bekommen», stellt Schönle fest. Sein Unternehmen ist von der europäischen Regulierung für Medizinprodukte direkt betroffen. Die europäische «Medical Device Regulation» soll am 26. Mai 2020 in Kraft treten. Bislang erlangten die Produkte der Schweizer Hersteller automatisch den EU-Pass, wenn diese in der Schweiz eine Zulassung erhielten. Ohne Rahmenabkommen mit der EU droht die Schliessung des privilegierten Zugangs. «Das bilaterale Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätserklärungen (MRA) wird nicht nachgeführt werden. Somit sind Produkte von Schweizer Herstellern nicht mehr gleichwertig mit den europäischen Produkten. Wir benötigen für unsere Produkte einen Importeur und einen EU- Repräsentanten und können ab diesem Zeitpunkt unsere vielen Kunden in der EU nicht mehr direkt, sondern nur noch über diesen Importeur beliefern. Damit bestellen die Kunden auch nicht mehr bei uns, sondern beim Importeur. Das macht alles spürbar komplizierter und es kostet auch deutlich mehr», erklärt Schönle. Er hat bereits Vorsorge getroffen und im November die Verlagerung eines grossen Teils seiner Produktion nach Ungarn angekündigt. Dadurch gehen in Rothrist Stellen verloren.

    Qualität bei Medizinprodukten muss stimmen
    Die Qualitätsansprüche des Unternehmens sind gross: «Wir machen keine Kompromisse und nehmen auch Kundenreklamationen sehr ernst. Wir haben zwar keine Hochrisikoprodukte, aber wir sind uns sehr wohl bewusst, dass wir Medizinprodukte herstellen und die konstante Qualität von sehr grosser Bedeutung ist.» Ebenso wird Nachhaltigkeit und Umweltschutz vorbildlich im Betrieb gelebt. Das KMU hat als Grossverbraucher von Energie innert zwei Jahren alle wirtschaftlichen Massnahmen umgesetzt. «Dadurch haben wir den Energieverbrauch um rund zwanzig Prozent gesenkt. Zudem versuchen wir den Verbrauch von Ressourcen so stark wie möglich zu reduzieren. Wo dies nicht möglich ist, rezyklieren wir sehr viel.»

    Eine grosse Herausforderung für die Herstellerin von medizinischen Textilien ist der hohe Exportanteil. «Der starke Franken macht uns zu schaffen. Zwar ist es uns in den letzten Jahren gelungen, unsere Abhängigkeit vom Euro praktisch zu eliminieren, doch haben wir im Moment Probleme, den tiefen Wechselkurs GBP/CHF zu stemmen.» Das Zukunftspotenzial der Branche erachtet Schönle aber als gut. Als vorausschauender und erfahrener Unternehmer hat er noch einige Pläne und Ideen in der Schublade. «Die Vergangenheit hat mir aber auch gezeigt, dass lange nicht alles planbar ist. Entscheidend ist, dass wir mögliche Chancen mutig ergreifen und damit hoffentlich mehrheitlich auch Erfolg haben.»

    Corinne Remund

    www.weroswiss.com


    Grosse Investitionen in der Krise

    CORONA-KRISE – Die Firma Wernli stellt seit Ende April neben Verbandsmaterial auch medizinische Schutzmasken für den Schweizer Markt her und schafft zusätzliche Arbeitsplätze.

    (Bild: pixabay) Die Nachfrage nach Schutzmasken ist auch ohne Pflicht gross.

    Felix Schönle, CEO der Wernli AG, ist ein weitsichtiger Unternehmer mit viel ökonomischem Fingerspitzengefühl. Sein Innovationsgeist und Mut, eine Chance zu packen, wenn sie da ist, beweist er gerade jetzt in der schwierigen Situation der Corona-Krise. Der Rothrister Unternehmer, der als Vize-Verwaltungsratspräsident a.i. des Kantonsspitals Aarau das Gesundheitswesen bestens kennt, hat sehr früh realisiert, dass es im Rahmen der Corona-Pandemie in der Schweiz zu einem Engpass an Schutzmaterialien kommt. «Deshalb habe ich die Möglichkeit der Produktion von chirurgischen Gesichtsmasken geprüft. Dabei war mir schnell klar, dass diese maschinell hergestellt werden müssen», erklärt Schönle. Nach einer kurzen Evaluationsphase hat er sich entschlossen, in eine entsprechende Maschine zu investieren.

    130’000 Masken pro Tag
    Die neue Anlage, die aus China stammt, kostet rund 100’000 US Dollar. Dazu kommen noch hohe Luftfrachtkosten. «Wir haben bereits sehr viele Bestellungen erhalten, weshalb ich meine Bestellung um weitere Maschinen erweitert habe.» Eine solche Anlage hat eine Kapazität von rund 130’000 Masken pro Tag. «Wenn einmal alle Anlagen in der Schweiz sind und während 24 Stunden laufen, können wir einen grossen Teil des Schweizerischen Bedarfs an chirurgischen Gesichtsmasken abdecken», so Schönle. Produziert wird ausschliesslich für den Schweizer Markt. «Absolute Priorität hat das Gesundheitswesen. Ein wichtiger Bereich ist aber auch der Schutz von Arbeitnehmenden in Betrieben. Diese sind nämlich ein wichtiges Rückgrat in der Versorgung der Bevölkerung mit wichtigen Gütern», präzisiert Schönle.

    Chance und Risiko zugleich
    Gemäss Schönle liegt der Preis der Masken für seine Kunden deutlich unter dreissig Rappen, also in einem sehr tiefen Bereich. «Das ist auch sehr viel tiefer als ein direkter Import von China. Ich finde es sehr bedenklich, wie viele Leute sich an dieser heutigen Situation bereichern.» Der ehemaligen Rothrister Gemeindeammann sieht Produktion und Verkauf von Hygienemasken sowohl eine Chance für sein Unternehmen und ein Beitrag zum Schutz von Arbeitnehmenden und der Bevölkerung als auch gleichzeitig ein unternehmerisches Risiko. «Ich investiere sehr viel Geld in die neuen Produktionsanlagen und in die Beschaffung von Rohmaterialien.»

    Zwei Wochen nach Ostern wurde mit der Produktion gestartet. Dazu wurde in der alten Rivella-Fabrik am Juraweg in Rothrist ein zweiter Produktionsstandort aufgebaut. Produziert wird dort in vier Schichten rund um die Uhr. Im Stammbetrieb wird in drei Schichten produziert, ausser am Wochenende. «Dafür benötigen wir zwischen 60 und 80 zusätzliche Mitarbeitenden», so Schönle. Damit ist die Wernli AG die einzige Schweizer Firma, die im neusten Bereich der chirurgischen Gesichtsmasken vom Typ IIR auf eine solche Kapazität zurückgreifen kann und die Normen einhält. Der innovative Unternehmer kann zurzeit die nächsten vier, fünf Monate überblicken. «Ich gehe davon aus, dass wir sicher bis Ende Jahr ausgelastet sind.»

    CR

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